Thomas Bolli, in: Tages Anzeiger, 13.05.2006:
"Emil Manser, zur Welt gekommen 1951 in Appenzell, 2004 in Luzern ins Reusswasser abgetaucht. Ihm wurden schon viele Titel verliehen: Stadtoriginal, «Chlämmerlisack», Sisyphos, Beamtenbeleidiger, Aktionskünstler, Iwan Rebroff der Luzerner Gassen, «Lärmichäib», Weltleider, Visionär, Diogenes, Schmerzensmann, Lichtgestalt. Er selber nannte sich Stadtstreuner, Hosli, Nilper oder Bruder Emil.
Jetzt hat ein Kleinverlag eine «Hommage an den Luzerner Strassenphilosophen Emil Manser» herausgegeben, ein Buch, zu dem der Stadtpräsident das Vorwort beigesteuert hat. Bereits nach fünf Tagen war es ausverkauft. 1100 Stück. Eine zweite Auflage wurde umgehend gedruckt. «Das Echo ist phänomenal», sagt Georg Anderhub, Fotograf und Mitherausgeber des Buchs. Die Stadt hat ihren 2004 verstorbenen Sonderling offenbar noch nicht vergessen. Und sie scheint ihn jetzt, wo er nicht mehr bedrohlich in den Strassen steht, mehr zu schätzen denn je.
Emil Manser war es zu Lebzeiten nicht anders ergangen als allen Stadtoriginalen. Die einen mochten ihn, die anderen ignorierten ihn, und wieder andere wünschten ihn ins Pfefferland. Letztere taten dies vor allem dann, wenn Manser in den Strassen sang oder so laut vor sich hin proletete, dass manch einem der Schrecken in die Glieder fuhr. Manser konnte sanft sein wie ein «Wydechätzli» und stachelig wie die Fruchtkapsel der Kastanie.
Jede Stadt hat seine so genannten Originale. Sie machen eine Stadt menschlicher und verleihen ihr eine besondere Identität. Luzern pflegt die Kultur seiner Originale besonders. Der Verein «Güüggali-Zunft» etwa kümmert sich seit Jahren um die gesellschaftlichen Grenzgänger. Sie gibt Bücher und CDs heraus, veranstaltet Weihnachtsessen und kümmert sich um die Nachlässe der Originale.
Und nun das Buch eines Kleinverlags. Es versucht festzuhalten, was Emil Manser ausgemacht hat. Er kommt selber zu Wort, mit Bildern, Texten und vielen seiner in eigenwilliger Orthografie gehaltenen Sprüche. Manser hatte sie auf grossen Kartonschildern durch die Strassen getragen: «Glück (für Sie). Bettle ganzen Januar zum Halben Breis», «Der Fremde grüsste ohne Motiv», «Auf Wiedersehen Herr Christof Blocher, aber es eilt nicht», «Meine Gedanken sind langsam, aber mein Audto schnell», «Bescheiden eingerichtet? Ich auch.»
In dem Buch erzählen auch Leute, die Emil Manser gut kannten: zum Beispiel ein Quartierpolizist, ein Pfarrer, ein Nationalrat, seine Lebensgefährtin. Sepp Riedener, der Luzerner Seelsorger, der sich vor allem um Randständige kümmert, schreibt: «Es ist besser, Originale zu Lebzeiten ernst zu nehmen, als sie nach dem Tode heilig zu sprechen.» Das Buch ist keine Heiligsprechung. Es hält einfach ein Stück Stadtgeschichte fest."